Vor Kurzem habe ich im InDepth-Magazine einen Artikel über die Dekompressionskrankheit (DCS) beim Apnoetauchen gelesen. Die landläufige Meinung, dass beim Apnoe-Tauchen kein DCS auftritt, gilt heute nicht mehr. DCS beim Freitauchen ist als Taravana-Syndrom bekannt. In den letzten Jahren scheinen die Fälle zuzunehmen, was mit der stetigen Erweiterung der Freitauchgrenzen zusammenhängen soll. Dies wirft die Frage auf, ob das Taravana-Syndrom tatsächlich eine eigene Entität darstellt und was darüber bekannt ist.
Das Taravana-Syndrom
Das Taravana-Syndrom wurde erstmals 1956 von Dr. Truc, einem französischen Militärarzt, beschrieben und bezieht sich auf neurologische Symptome, die bei Perlmutt-Tauchern in Französisch-Polynesien beobachtet wurden. Der Begriff „Taravana“, der im lokalen Dialekt „verrückt werden“ bedeutet, wurde 1968 geprägt.
Zuverlässig Daten über das Syndrom zu erheben, ist schwierig. Die meisten Informationen stammen aus anekdotischen Berichten oder kleinen Fallstudien, die wahrscheinlich nicht die tatsächliche Häufigkeit widerspiegeln. Die Diagnose der Erkrankung ist schwierig und subjektiv, da die Kriterien und Methoden variieren. Zu den wichtigsten Risikofaktoren für ein Taravana-Syndrom gehören die Anzahl, Tiefe, Dauer und Häufigkeit der Freitauchgänge sowie kurze Oberflächenintervalle und schnelle Auf- und Abstiegsgeschwindigkeiten.
Dr. Truc erklärte das Syndrom durch die Bildung von Stickstoffblasen im Gehirn, die durch wiederholte Dekompressionen bei repetitiven Apnoe-Tauchgängen entstehen, und stufte es als eine Form der zerebralen Dekompressionskrankheit (DCS) ein. Genau hier liegt jedoch das Problem: Es ist alles andere als gesichert, ob diese Theorie tatsächlich zutrifft. Dies könnte auch erklären, weshalb sich der oben erwähnte Artikel rasch im Ungefähren verliert.
Der Fallbericht
In einem bemerkenswerten Fallbericht im «frontiers of physiology» wird das Taravana-Syndrom aus einer weiteren Perspektive beleuchtet. Ein bislang gesunder, 45-jähriger Freitaucher verlor nach mehreren Apnoetauchgängen das Bewusstsein und erlitt einen epileptischen Anfall. Zuvor hatte er mehrere kurze Tauchgänge bis 10 m Tiefe durchgeführt, gefolgt von vier Tauchgängen bis 41 m mit Oberflächenpausen von 4 bis 6 Minuten und Apnoezeiten von bis zu 3 Minuten 27 Sekunden. Er nutzte einen Unterwasser-Scooter und war sehr schnell auf- und abgetaucht mit Aufstiegsgeschwindigkeiten bis 180 (!) m/min.
Der Bewusstlose wurde per Luftrettung ins Krankenhaus transportiert. Ein CT des Thorax (Brustkastens) schloss eine Gasembolie durch ein Lungenbarotrauma aus. Ein MRT (Magnetresonanztomographie) zeigte ein posteriores Hirnödem (Gehirnschwellung im hinteren Bereich), weshalb eine Druckkammertherapie eingeleitet wurde. Der Patient war am nächsten Morgen orientiert, zeigte jedoch noch leichte Sprachstörungen. Über neun Tage hinweg erhielt er weitere Sitzungen mit Heliox—basierter, hyperbarer Sauerstofftherapie, wodurch sich sein neurologischer Zustand vollständig normalisierte. Eine MRT-Kontrolle nach einer Woche zeigte einen deutlichen Rückgang des Hirnödems.
Das klinische Bild und der Befund im MRI entsprechen einem PRES (Posteriores Reversibles Enzephalopathie-Syndrom). Das PRES ist eine seltene neurologische Erkrankung, die durch vorübergehende Gehirnödeme gekennzeichnet ist, hauptsächlich im hinteren Gehirnbereich (posterior). Symptome können Kopfschmerzen, Sehstörungen, Verwirrung, Krampfanfälle und erhöhter Blutdruck sein. Die genaue Ursache ist unklar, aber häufige Auslöser sind Bluthochdruck, Nierenversagen, Autoimmunerkrankungen und bestimmte Medikamente. Die Erkrankung ist oft reversibel, wenn die zugrunde liegende Ursache frühzeitig behandelt wird. Ein PRES wird typischerweise durch ein MRI diagnostiziert, das charakteristische Hirnschwellungen zeigt.
Mögliche Mechanismen
Als Mechanismen werden eine gestörte zerebrale Autoregulation (Blutdruckselbstregulation des Gehirns), eine endotheliale Dysfunktion oder eine lokale Ischämie (Durchblutungsstörung) diskutiert. Endotheliale Dysfunktion bedeutet eine Schädigung der inneren Gefäßwandschicht (Endothel), die zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führt. Dies ermöglicht das Austreten von Flüssigkeit und Proteinen ins Hirngewebe, was zur Bildung von Ödemen beiträgt.
Die endotheliale Dysfunktion spielt bei DCS eine Rolle.
Tatsächlich wird dieser Mechanismus mehr und mehr auch in den Vordergrund gestellt zur Erklärung gewisser Formen eines DCS. Dass ein PRES nach extremem Freitauchen auftritt, ist unter diesem Gesichtspunkt bemerkenswert.
Die Autoren der Fallstudie diskutieren mögliche pathophysiologische Mechanismen. Ein Lungenbarotrauma konnte ausgeschlossen werden. Darüber hinaus werden venöse Gasembolien beim Freitauchen selten beobachtet, womit die für ein klassisches DCS typischen Mechanismen wie pulmonale (arterio-venöse Anastomosen) oder kardiale Rechts-Links-Shunts (offenes Foramen ovale) nicht spielen. Aus diesem Grund favorisieren die Autoren als Auslöser die autochthone (lokale) Bildung von Gasblasen direkt im Gehirn, welche zu einer Schädigung des Endothels und somit der Blut-Hirn-Schranke führen würden, was die Grundvoraussetzung für ein Hirnödem ist. Doch ist das stimmig?
De novo Gasblasenbildung im Gehirn beim Apnoe-Tauchen? - Eher nicht.
Das Gehirn gilt allgemein als hervorragend vor DCS geschützt, dank seiner exzellenten Durchblutung und des aktiven Stoffwechsels, die eingeschleppte Gasblasen rasch auflösen. Schäden treten in der Regel nur bei katastrophalen DCS-Fällen auf, bei denen massive Mengen von Gasblasen über Rechts-Links-Shunts ins arterielle System gelangen. Es erscheint daher wenig plausibel, dass ausgerechnet im Gehirn neue Blasen entstehen könnten – insbesondere beim Freitauchen, bei dem die Übersättigungswerte des Gerätetauchens niemals erreicht werden. Ich wage zu behaupten, dass diese Erklärung nicht zutrifft.
Äusserst interessant aber ist die Verbindung, welche die Autoren zwischen dem Taravana-Syndrom und dem PRES herstellen. Damit öffnen sie den Fokus weit über das DCS hinaus. Beim extremen oder wiederholten Freitauchen treten Bedingungen auf, die den Auslösern eines PRES ähneln. So wurde über extreme Blutdruckspitzen beim Freitauchen berichtet. Auch weiss man heute, dass bei repetitiven Freitauchgängen sehr akzentuierte Sauerstoffmangelsituation auftreten. Letztere führen zu einer "Sauerstoffschuld", die selbst bei Einhalten üblicher Oberflächenpausen nicht ausreichend kompensiert werden kann, was im Gehirn Auswirkungen ähnlich einer Durchblutungsstörung (Ischämie) hervorrufen könnte (wie im dekoblog bereits berichtet wurde).
Taravana-Syndrom = PRES?
Könnte das Taravana-Syndrom tatsächlich eine spezielle Form des PRES sein, ausgelöst durch die physiologischen Belastungen des Apnoetauchens? Dieser Ansatz erscheint schlüssig und bietet eine überzeugendere Erklärung als die Theorie der lokalen Gasblasenbildung. Es bleibt spannend, ob zukünftige Forschung einen Zusammenhang erhärten kann.
Comentários